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Der Wind war’s

Verena Gotthardt

Die Windmühlen stehen plötzlich still. Obwohl da draußen der Wind geht. Ich kann es sehen. Ich kann die Äste der Bäume tänzeln sehen und die vorbeiziehenden, weißen Wolken. Wie das wohl geht, frage ich mich. Windmühlen sollten doch nicht stillstehen. Das Meer sollte doch nicht flach werden. Ein Brocken sollte doch nicht zu schwarzem Sand zerfallen. Es sollte doch nicht so einfach sein Luft aufzuhalten. Man sagt, dass Wind nur hörbar ist, wenn er um die Ecke zieht – sich zwischen Blätter drängt oder sich durch enge Gassen zwängt.  Der Zug fährt mit mir an diesem kalten Feld vorbei und schon denke ich nicht mehr an den Wind oder die Mühlen – sich drehend oder nicht. Ich bin wie so oft viel zu früh am Flughafen oder am Bahnhof oder an einem dieser Orte, die keine sind. Um zurückzukehren, um von einem zu Hause ins andere zu flüchten. Und bin ich hier, möchte ich dort sein und bin ich endlich dort, zieht es mich zurück. Ein Seil, das an beiden Enden gezogen wird. Nur während dem Reisen fühle ich mich wirklich wohl und irgendwie angekommen. Denn ich erkenne die vorbeiziehenden Häuser und die Gesichter, die aus den Fenstern blicken. Sie sind jedes mal gleich und doch jedes Mal irgendwie anders. Kommen mir verschoben vor. Es bleibt nur die Reise von einem Ort in den nächsten, wo mich nichts zurückpfeift. Wo ich an nichts festhalte, das sich mit Worten nicht festhalten lässt. In der großen Halle angekommen,  habe ich Lust, meine Augen in Butter zu legen. Die müde Zeit auf einer Scheibe Brot zu verstreichen. Ich lege mein ganzes Gewicht ab und werde ganz schwer. Der ganze Körper bleibt kurz unbeweglich und unförmig, wie ein Sack voll Mehl. Ich atme aus bis nichts mehr geht. Zerfalle bis ich spüre, dass meine Lunge wohl so aussehen muss, wie ein versiegelter Vakuumbeutel. So lange, dass mein Oberkörper anfängt sich zu verkrampfen und mich zwingt Luft zu holen. Mich zwingt nach Luft zu ringen. Vor mir eine Glaswand und dahinter steigt Dampf auf. Zuerst grau, dann weißer Rauch – Frieden. Das muss es sein, denke ich mir. Alles ruhig, alles friedlich. Muss wohl, wie man sagt. Es richtet mich auf. Der Rücken, der immerzu krumm war, ist plötzlich ganz gerade. Ein unsichtbarer Strick, der ihn immer höher zieht. Der Pullover kratzt sanft auf der Haut. Ein Zeichen, dass der Frühling kommt. Wenn sich Pullover am Körper nicht mehr richtig anfühlen. Der erste Strauch im Garten, blüht auf. Von einem Tag auf den nächsten, sieht man wieder vergessene Farben. So schnell schon ist die kalte Nacht vergessen. Eis schmilzt und die Äste der Bäume tänzeln weiter.

 

Aus: Das März Blatt, 2020

40 Seiten, signiert und nummeriert

verenagotthardt.com/das-januar-blatt

Jahr der Fotografie
Leto fotografije

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